Rosa Luxemburg als Übersetzerin

Rosa Luxemburg als Übersetzerin

Veröffentlicht in Bekannte und unbekannte Übersetzer - Übersetzerlexikon am 23/01/2019

Im Jahre 1871 als fünftes und jüngstes Kind einer jüdischen Familie im polnischen Zamość geboren kennt man Rosa Luxemburg heute vor allem als revolutionäre Vordenkerin der internationalen Arbeiterbewegung, die sich kein Blatt vor den Mund nahm, als Vertreterin des Antimilitarismus und als ausgesprochene Antinationalistin. Dank ihres politischen Engagements, ihrer journalistischen Tätigkeit und nicht zuletzt durch die dramatischen Umstände ihres frühen Todes im Jahre 1919 ist Rosa Luxemburg als eine der prominentesten und einflussreichsten Frauen des anbrechenden 20. Jahrhunderts in die Geschichte eingegangen.

Übersetzerin und Dolmetscherin

Weniger bekannt ist, dass Rosa Luxemburg mit ihrer ausgeprägten sprachlichen Begabung neben ihren politischen und journalistischen Aktivitäten auch als Schriftstellerin und Übersetzerin, ja in seltenen Fällen sogar als Dolmetscherin, tätig war. Das Handwerkszeug einer jeden Übersetzerin – ihre Sprachkenntnisse – erwarb Rosa Luxemburg früh und pflegte sie zeit ihres Lebens. Als Jüdin in Polen erwarb Rosa Luxemburg bereits in jungen Jahren das Polnische und Deutsche. Während ihrer Schulzeit am Zweiten Frauengymnasium in Warschau erlernte sie als eine der wenigen polnischsprachigen Jüdinnen, die an diese Schule zugelassen wurden, zusätzlich Russisch, die alleinige Unterrichtssprache. Im Laufe ihrer Studienzeit an der Universität Zürich, der einzigen Universität im deutschen Sprachraum, an der zu jener Zeit Männer und Frauen gleichberechtigt studieren durften, verlieh sie ihren Deutschkenntnissen den letzten Schliff. In der Folge sollte sie nicht nur auf Deutsch promovieren, sondern auch einen Großteil ihrer Publikationen auf Deutsch veröffentlichen. Neben dem Polnischen, Russischen und Deutschen war Rosa Luxemburg auch des Französischen mächtig und besaß Grundkenntnisse des Italienischen, Lateinischen und Altgriechischen.

Übersetzerin zwischen Goethe und Claudius

Zweifellos halfen Rosa Luxemburgs Wortgewandtheit und Sprachbegabung ihr in ihrem politischen Streben ungemein, doch blieben sie auch in Literatenkreisen nicht unbemerkt. So forderte beispielsweise Karl Kraus, dass ein Brief Rosa Luxemburgs, den sie aus dem Gefängnis an eine Bekannte schrieb, in den Lehrbüchern fortan „zwischen Goethe und Claudius“ zu finden sein sollte, weil ihr Schreibstil auf den Leser unglaubliche Wirkung ausübe. In den Genuss ihres berührenden Schreibens kommen Leser bis heute dank ihrer berühmtesten Übersetzung – der Übersetzung der Kindheits- und Jugenderinnerungen Wladimir Korolenkos, denen sie den Titel „Die Geschichte meines Zeitgenossen“ gab. Ob des anspruchsvollen literarischen Stils regten sich während der beinahe zwei Jahre dauernden Übersetzungsarbeit an diesem Werk trotz intensivster Recherche und regen Austauschs mit anderen Intellektuellen ihrer Zeit Zweifel in Rosa Luxemburg, ob sie für die Übertragung dieses Textes in Deutsche gerüstet sei. Deshalb beschloss sie, ihren Text von deutschen Freunden gegenlesen zu lassen. Doch der Gedanke, einen Text zu veröffentlichen, der nicht zur Gänze ihr Eigen war, war Rosa Luxemburg so fürchterlich, dass sie ihre Sekretärin schlussendlich doch bat, ihr Manuskript „mit allen Slawismen und sonstigen Schönheitsfehlern“ zum Druck zu geben. Ihr gedrucktes Werk konnte Rosa Luxemburg allerdings nie in Händen halten - in den Wirren der deutschen Revolution verzögerte sich der Druck bis ins Frühjahr 1919 und die Übersetzung erschien erst einige Monate nach ihrem Tod. Dass ihre Übersetzung 1985 in der Manesse-Bibliothek der Weltliteratur neuaufgelegt wurde, zeugt von der Qualität ihrer Arbeit.

Dolmetscher im Dienste der Politik

Auch als Dolmetscherin versuchte sich Rosa Luxemburg. So dolmetschte sie auf dem Stuttgarter Kongress im Jahre 1907 die Ansprache des französischen Antimilitaristen Gustave Hervé und unterbrach ihn zur Erheiterung aller mit einem entschlossenen „Non!“, als dieser behauptete, die deutschen Genossen hätten Angst vor dem Gefängnis. Rosa Luxemburgs Werken – egal ob als Politikerin, Autorin, Übersetzerin oder Dolmetscherin - ist also Eines gemein: Rosa Luxemburg schreckte nicht vor Widerstand zurück und hielt auch mit ihrer Meinung nicht an sich. Besonders durch das Prisma der heutzutage im Bereich der Sprachdienstleistungen vorherrschenden Ansichten ist dies bemerkenswert. Nicht nur sollen sich professionelle Übersetzungen heute lesen wie Originale, gute Dolmetscher sind auch solche, deren Präsenz man nicht wahrnimmt. Rosa Luxemburgs Ansatz war ein anderer – in ihrer Politik wie in ihren Übersetzungen und Dolmetschungen hatte sie keine Angst, gesehen und gehört zu werden, ja strebte sogar danach. In diesem Sinne war Rosa Luxemburg nicht nur für die internationale Arbeiterbewegung eine wichtige Figur, die für ihre Sache ihr Leben ließ, sondern auch für die Translationswissenschaft stellt sie eine wichtige Inspirationsquelle dar.